MINIK
Regie Axel Engstfeld
Kamera Hans Jakobi
Schnitt Josef van Ooyen
Musik Hans Günter Wagener
Länge 80'
Coproduktion NDR, ARTE, ORF, Epo-Film, Wien
unterstützt von Filmstiftung NW, BKM, Media

Pressetext


Pressefotos

Oktober 1897: Arktis Forscher Robert Peary kehrt von seiner letzten Grönlandexpedition nach New York zurück. An Bord hat er den größten Meteoriten, der jemals in die USA gebracht wurde - und 5 Polareskimos.

Franz Boas, der Kurator des American Museums of Natural History, hatte vor einiger Zeit den Vorschlag gemacht einen Eskimo nach New York zu bringen, um ihn in Ruhe zu studieren.  Eskimos sind für die Anthropologen des ausgehenden 19. Jahrhunderts eine rare Spezies und ein Clan von 5 Eskimos in New York eine Sensation.

Doch im Oktober 1897 hat Boas längst seine „Bestellung“ vergessen. Der 10 jährige Minik, sein Vater Keeshuh und seine Verwandten werden provisorisch im Keller des Museums untergebracht. Nach 10 Tagen werden sie krank in das Bellevue Hospital eingeliefert. Lungenentzündung und Tuberkulose lautet die Diagnose.

In der folgenden Zeit pendeln die Eskimos zwischen ihrem neuen Quartier in der Bronx, dem Krankenhaus und dem Museum. Minik, der junge Wilde, wird zum Liebling der New Yorker Presse. Im Februar 1898 stirbt sein Vater Keeshuh an Tuberkulose und sein Skelett verschwindet in der anthropologischen Sammlung des Museums. Doch für den kleinen Minik inszenieren die Anthropologen des Museums die Scheinbeerdigung seines Vaters.

Innerhalb weniger Monate sterben auch die anderen Eskimos, nur der kleine Minik überlebt, wird von einem Mitarbeiter des Museums adoptiert. 12 Jahre bleibt er in Amerika, bis ihm schließlich die Rückkehr nach Grönland gelingt.

Doch in der eisigen Arktis hilft ihm seine amerikanische Schulbildung wenig: Er weiß nicht zu jagen, kann weder ein Hundegespann führen, noch mit dem Kajak umgehen,  muß seine Muttersprache erneut lernen, sich an rohes Robbenfleisch gewöhnen und die jungen Frauen nehmen kaum Notiz von dem ungeschickten Minik.

Inzwischen wird Robert Peary in Amerika als Entdecker des Nordpols gefeiert, doch in Minik kocht Haß auf Peary und all die Wissenschaftler in New York.  Da beschließt Minik nach 7 Jahren in der Arktis noch einmal nach Amerika zurückzukehren.

Der vielfach ausgezeichete Dokumentarist Axel Engstfeld, hat die Spuren von Minik verfolgt. In einer Collage aus Archivmaterial, Dokumenten, Inszenierungen und dokumentarischer Spurensuche erzählt er das dramatische Leben des Eskimojungen. Dabei gelingt auch ein Blick auf die junge Wissenschaft der Anthropologie des ausgehenden 19. Jahrhunderts.

Die Dreharbeiten führten in den Norden Grönlands, nach New Hamsphire, Maine und New York.  Besonders schwierig erwies sich der Zugang zu dem Museum of Natural History in New York. Mehr als 6 Monate dauerte es bis die Rechercheure Einblick in die Akten und Archive des Museums bekamen. Weitere 6 Monate Geduld waren nötig bis schließlich eine sehr eingeschränkte Drehgenehmigung erteilt wurde. Dies zeigt wie brisant das Thema bis heute ist.

Es scheint ein Riß durch die Welt der Anthropologen zu gehen. Die einen wollen mit den Anfängen ihrer Wissenschaft möglichst nichts zu tun haben und schweigen lieber, die anderen zeigen keine Scheu die Geschichte ihrer Wissenschaft zu diskutieren. Zu den letzteren gehört  der jetzige Kurator des American Museum of Natural History David Hurst Thomas. Er nimmt ausführlich Stellung zu dem dramatischen Schicksal von Minik und seinem Clan und gewährt Einblick in die Denkweise der Anthropologen zum Ende des 19. und Beginn des 20. Jahrhunderts.

In diesem Text wird bewußt das Wort "Eskimo" anstatt Inuit verwendet, weil sich die Polareskimos im Norden Grönlands selbst so nennnen.

Interview

mit Axel Engstfeld

Wie hat denn das American Mueum of Natural Histpry auf ihr Projekt reagiert?

Es gab von Anfang an Probleme mit dem AMNH. Das Museum ist zentraler Punkt in dem Film, dort hat die ganze Geschichte ihren Anfang genommen, dort haben die Eskimos die ersten Tage verbracht, dort sind die Gebeine fast 100 Jahre gelagert worden, an das Museum mussten wir unbedingt ran. Ich habe in New York eine Rechercheurin engagiert . Eine sehr talentierte und beharrliche Frau. Nicki Lazar versuchte Monatelang vergeblich einen Fuß in die Tür zu bekommen. Wir wollten zunächst einmal lediglich Zugang zu dem Archiv und den Akten des Museums. Dieses Vorhaben hat offensichtlich eine riesige Diskussion innerhalb des Museums losgetreten. Einige sagten: „warum nicht, was haben wir zu verstecken, das war halt der Anfang der Anthropologie und die Zeit damals.“ Andere sagten: „hm lieber nicht. Das Beschädigt unsere Wissenschaft. Stillschweigen ist die beste Antwort.“  Schließlich wurde eine interne e-mail offensichtlich aus versehen Nicki Lazar zugestellt. Und das half ihr die Fronten innerhalb des Museums zu erkennen und entsprechend zu argumentieren. Es hat sechs Monate gedauert bis sie schließlich Zugang zu den Archiven des Museums bekam.  Und dann hat es noch mal 9 Monate gedauert bis wir eine Drehgenehmigung bekamen. Wir haben das Schlichtweg ausgesessen. Nicht aufgegeben, immer wieder nachgefragt. Normalerweise hat man bei TV-Produktionen nie soviel Zeit. Aber in diesem Fall haben wir sie uns einfach genommen.

Es taucht ja sogar ein Kurator des Museum vor der Kamera auf.

David Hurst Thomas ist Kurator der Abteilung Anthropologie und sitzt auf dem Stuhl auf dem vor mehr als 100 Jahren Franz Boas saß. Thomas ist ein mutiger Mann. Er hat ein Buch „Skull Wars“ geschrieben und die unglaublichen Grabräubereien der amerikanischen Anthropologen gegen Ende des 19. Jahrhunderts thematisiert. Thomas ist in gewisser Weise ein Nestbeschmutzer. Und wird von vielen seiner Kollegen so gesehen. Doch Thomas ist genau dieser Meinung: „Was haben wir zu verstecken. So war halt der Beginn unserer Wissenschaft.“  Thomas war von Anfang an unser Verbündeter. Doch bei dem Interview war die Pressechefin des Museums zugegen und hat sich Notizen gemacht. Das wurde stark kontrolliert.

Wie liefen dann die Dreharbeiten im Museum?

Fast überhaupt nicht. Ich hatte eine Liste mit fünf Motiven eingereicht. Drehen durften wir jedoch lediglich den großen Meteoriten und das Interview. Es hat vor Ort noch einen halben Tag gebraucht bis wir dann schließlich doch Teile der Ausstellung drehen durften. Alles was backstage war , war off limits. Wir durften weder den Flur noch die Räume der Anthropologen drehen, Auch nicht die Lager in denen sich die gigantische Sammlung von Peary befindet. Ich hätte gerne die zahllosen Schübe mit Fellen und Elfenbein gesehen. Auch gibt es offensichtlich noch die Gipsbüsten, die damals von den Eskimos angefertigt wurden. Doch auch die bekamen wir nicht zu Gesicht. Man bot uns ein Tablett voll Artefakte an, die von Pearys Sammlung stammten, doch darauf habe ich dann verzichtet. Ich wollte die Menge im Lager sehen. Das wurde nicht gestattet. Genauso wenig konnten wir die Kellerräume oder  die Dachräume über der Abteilung Anthropologie drehen. Dort hatten die Eskimos gelebt.

Warum ist das Museum so restriktiv?

Es scheint immer noch ein Politikum zu sein. Und für das größte Naturkunde Museum der Welt schlichtweg peinlich. Es gab während des letzten Jahrhunderts immer wieder Anfragen von Journalisten zu Minik und den anderen Eskimos. Und Schweigen ist dann für solch eine Institution vielleicht die bessere Lösung. Es gibt in den USA  seit ca. 10 Jahren auch den so genannten „repatriation act“ . Dieses Gesetz haben die amerikanischen Ureinwohner erfochten: Sämtliche Gebeine, die aus den Grabräubereien stammen und in den Museen lagern müssen in die Stammesgebiete zurückgeführt werden. Sobald ein Kurator den Knochen eines Indianers vor die Kamera hält kann er verklagt werden. Das sensibilisiert das Thema natürlich ungemein.

Ein anderes Beispiel ist das Verhalten des Smithonian in Washington. Dort lagert unter der Eingangskuppel die Sammlung von Ales Hrdlischka. Der hat für das Smithonian Knochen und Schädel von 30.000 Menschen angesammelt. Und er hat auch die Gehirne der gestorbenen Eskimos untersucht.  Nach langem hin und her war der Kurator schließlich bereit mitzuwirken und uns die Sammlung zu öffnen. Hauptbeweggrund war sehr wahrscheinlich das Mitwirken von David Hurst Thomas, dem er das Feld nicht alleine überlassen wollte. Als wir mit Team in Washington eintrafen war von dem Kurator weit und breit nichts zu sehen. Angeblich konnte er wegen eines Schneesturms nicht kommen. Wir sind damals jedoch problemlos von Pennsylvania aus dem Zentrum des Schneesturms angereist. Drei Tage hat uns das Museum hingehalten, bis es schließlich eideutig war, dass der Kurator offensichtlich einen Rückzieher gemacht hatte – die ganze Geschichte ihm zu heiß wurde. Wir sind dann unverrichteter Dinge wieder abgezogen.

In Berlin haben wir eine weitere Sammlung von 10.000 Schädeln entdeckt. Die sind vom dortigen Völkerkundemuseum in einen ehemaligen Bunker ausgelagert worden. Darunter waren auch Schädel, die den Namenszug von Franz Boas trugen. Schädel zu verkaufen war ein Geschäft für die Anthropologen. 5 $ pro Schädel um 1900 ein guter Preis. Damit haben die ihre Studien und Expeditionen finanziert und die Gräber der Urbevölkerungen wurden massenhaft geplündert.

Es gibt in dem Film eine gespielte Szene,  eine Reporterin einer Boulevardzeitung interviewt Minik als er 1916 nach Amerika zurückkehrt. Ist  der Text echt?

Ja der ist tatsächlich so in der Zeitung „The World“ von 1916 dokumentiert. Bei dieser Geschichte ist es wirklich ein Glück, dass Minik zu einer Art Darling der New Yorker Presse wurde: Der junge gezähmte Wilde, der von einem Rohfleischfresser zu einem gebildeten Amerikaner wird. Das hat die Sonntagsbeilagen gefüllt und sein Schicksal wurde über die Jahre immer wieder von der Presse verfolgt. Das ist Material auf das wir uns stützen konnten. Es wurde auch eine Reihe von längeren Interviews mit Minik veröffentlicht als er so ca. 18 Jahre alt war und sehr gut seine Situation reflektieren konnte. Und dann die Briefe, die er an einen Freund in New York schrieb und die zum Teil veröffentlicht wurden. Diese Briefe sind beeindruckend, weil seine Sprache literarische Qualität hat. An optischem Material gibt es halt lediglich eine handvoll Fotos und daher habe ich mich entschieden einige Szenen zu inszenieren.

Wo wurden die Spielszenen realisiert?

Dies haben wir in Prag gemacht. Wir arbeiten seit Jahren dort mit einem kleinen Studio zusammen und drehen dort Reenactments für unsere Dokumentationsreihen. Normalerweise drehen wir diese Reenactments stumm, sie dienen mehr als Tableaus für die Erzählung. Doch diesmal wollte ich den Szenen mehr  Leben geben und wir haben Dialoge eingeführt, die später synchronisiert wurden. Das war für unseren LineProducer diesmal schon eine Herausforderung eine Gruppe Eskimos mitten in Prag zu besetzen.

Wie haben Sie den Darsteller des kleinen Miniks gefunden?

Über eine Agentin, die mongolische Tanzgruppen vertritt.  Wir haben eine ganze Reihe von mongolischen Jungen  gecastet, doch die meisten waren schlichtweg übergewichtig. Doch Übergewicht hat es bei den Eskimos nie gegeben. Dazu war die Nahrung zu knapp die das Land hergab. Bis dann eines Tages der 9 jährige Anuu Jin Boldsaikhan mit seinen Eltern ins Büro kam. Anuu war gerade vor zwei Wochen aus der Mongolei in Prag eingetroffen. Er hatte das große Staunen über die ungewohnte Umgebung selbstverständlich in seinem Blick.  Am ersten Drehtag hat er gar nicht mitbekommen, wann wir drehten und wann nicht. Am späten Nachmittag fragte er wann wir denn endlich anfangen würden. Doch schon drei Tage später konnte man wunderbar mit ihm arbeiten. Man konnte ihn durch eine komplizierte Szene führen, mit präzisen Stopps und Blicken – absolut erstaunlich. Schwierig war für ihn jedoch eine Szene in der er nackt von einem Anthropologen untersucht wird. Für Mongolen ist Nacktheit ein Tabu. Er hat es dann doch gemacht. Aber alle Frauen mussten das Studio verlassen.

Sie haben schon so viele Filme in den eisigen Regionen gemacht, wieso immer wieder diese Faszination?

Oft ist es ja so, dass man draußen während der Arbeit an einem Projekt auf neue Geschichten trifft. Wir haben 1996 für das ZDF die Polarreihe Im Bannkreis des Nordens realisiert. Und da spielte der Arktisforscher Peary eine Rolle. Bei den Recherchen zu dieser Person, sind wir auf die Geschichte von Minik gestoßen. Damals haben wir wie eine Fußnote diese Geschichte nur erwähnt, 1 Minute in einer der Folgen der Serie. Aber ich wusste von Anfang an, dass da ein großer Stoff schlummert.  Ich habe dann schon 1997 die Geschichte geschrieben, wollte aber nicht schon wieder ins Eis. Ich habe dann 2001 mit der Finanzierung angefangen und sehr schnell positive Reaktionen von Redaktionen und Förderern bekommen. Die Menschen sind von der Geschichte des kleinen Jungen halt unmittelbar berührt. Dann hat die Umsetzung doch noch eine ganze Zeit gedauert. U.a. weil das Museum in New York so sperrig war.

Wie haben sie sich der Umsetzung genähert. Gab es ein optisches Konzept?

Wir arbeiten bei diesem Film mit drei unterschiedlichen Looks. Die Szenen in der Arktis sind auf Super 16 gedreht. Vor allem wegen des großen Kontrastumfangs des Filmmaterials. Die dokumentarischen Elemente der Spurensuche haben wir mit Digi Beta gedreht und die Spielszenen mit Digi Beta und dem PS Adapter mit 35mm Optiken, um eine andere Tiefenschärfe und mehr „Kinofeeling“ zu bekommen. Dazu kommt dann noch die Ebene des Archivmaterials – also ein relativ komplexer Mix um die Geschichte möglichst hautnah zu erzählen.

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